Zwischen den ionischen Säulen des Alten Museums, in dem die Antikensammlung gezeigt wird, sitzen junge Leute und chillen. Unter den Bäumen am Spreeufer ruht sich ein Business-Mann im Anzug aus – das Fahrrad samt Helm lehnt an der Parkbank neben ihm. Und auch die Wiese des Lustgartens ist jetzt am Nachmittag zum Sonnenplatz vieler Berlinerinnen geworden. Sie liegen auf dem weiten Rasen, während auf der Straße Unter den Linden der Feierabend-Verkehr vorbei rollt. Sie picknicken mit der Familie oder haben sich mit Freundinnen zur kleinen, privaten After Work Hour getroffen. Von der Spree weht ein kühles Lüftchen herüber, auf der Brücke ein Stück weiter spielen Straßenmusiker. Am östlichen Ende des Lustgartens steht der derzeit eingerüstete Dom, geradeaus blickt man aufs südlich gelegene Humboldt Forum mit Baukränen dahinter. Eine baustellenfreie Perspektive gibt’s hier kaum, und irgendwie ist das schön so. Typisch Berlin eben.
Willkommen in der neuen kulturellen Mitte – dem Kunstareal rund um die Museumsinsel, das frisch eröffnete Samurai Museum und die Neue Nationalgalerie. Selbst als Berliner*in staunt man hier – so vieles verändert sich in kürzester Zeit, ist in Bewegung. Es wird gebaut, es bleibt spannend. Gegensätze vereinen, das kann Berlin nun mal von jeher gut: zum Beispiel altehrwürdige Museen wie das Pergamonmuseum mit einem lässigen, jungen Berliner Lebensgefühl. Das UNESCO-Weltkulturerbe Museumsinsel mit Avantgarde-Architektur wie etwa der James-Simon-Galerie von David Chipperfield. Das elegante Bode-Museum mit den Ausflugsschiffen der Spreerundfahrten. Oder, besonders beeindruckend: Alt und Neu ineinander verwoben im Neuen Museum von Friedrich August Stüler, in dem die ägyptische Sammlung mit der weltberühmten Nofretete untergebracht ist. Was Architekt David Chipperfield hier bei der Restaurierung geschaffen hat, ist so überraschend wie grandios: Schon die riesige Betontreppe in der kriegszerstörten Eingangshalle mit ihrem offenen Mauerwerk macht aus dem Bau aus dem 19. Jahrhundert ein aufregendes Museumsgebäude der Jetztzeit. Gleichzeitig spürt man, wie respektvoll und vorsichtig das Büro von Chipperfield mit der historischen Bausubstanz umgegangen ist.
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Mehr InformationenWir schauen heute aber nicht in den Häusern der Museumsinsel vorbei, machen statt dessen eine Spazierfahrt vom Samurai Museum Berlin über die Neue Nationalgalerie bis hinüber zum Humboldt Forum. Die jüngsten Veränderungen wollen wir uns ansehen, und weil die deutsche Hauptstadt nun mal sehr weitläufig ist, nehmen wir die Öffis – unter anderem die neue Kulturlinie U5.
Die kunstvollen Rüstungen, uralten Schwerter, Masken, Helme und viele weitere Schätze aus der Welt der japanischen Samurai sind erst vor Kurzem vom ehemaligen Museumsstandort Dahlem in die Auguststraße in Mitte umgezogen. Und die Ausstellungsmacher rund um Sammler Peter Janssen haben wirklich alles gegeben: Im neuen Samurai Museum Berlin erleben Kulturreisende eine inspirierende Schau rund um den eindrucksvollen Kriegerstand der Samurai.
Sie sehen aber nicht nur Rüstungen mit einzigartigen Eisentreibe-Arbeiten, Masken mit aufgeklebten Bärten und vergoldete Pferdesattel. Die wertvollen Gegenstände aus der Zeit vom 8. bis 19. Jahrhundert sind auch eingebettet in eine Virtual-Reality-Technik, die die Welt der Samurai in den abgedunkelten Räumen nah erlebbar macht. Da knistert und zischelt plötzlich das Feuer, gefolgt von lauten Hammerschlägen auf Eisen, während erklärt wird, wie Samuraischwerter geschmiedet werden. Und auf Touchscreens bekommt man quasi in Eigenregie Geschichten rund um die geheimnisvollen Samurai erzählt, teilweise im Stil japanischer Mangas. Vor allem kleine Gäste werden Kitsune lieben – den Rotfuchs, der als irrlichternde Comic-Projektion hin und wieder auf den Wänden und dem Fußboden auftaucht und so unterhaltsam durch die Ausstellung führt.
Die Neue Nationalgalerie ist nicht umgezogen – aber sie war jahrelang geschlossen, wurde vom Berliner Büro des Stararchitekten David Chipperfield denkmalgerecht generalsaniert. Nun erstrahlt diese Ikone der Moderne, die gleichzeitig das letzte architektonische Werk von Mies van der Rohe war, wieder in neuem Glanz. Sie beherbergt im Sockelbau weltberühmte Kunst des 20. Jahrhunderts, unter anderem wichtige Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee oder Pablo Picasso. Ein Teil der Werke soll in den kommenden Jahren zusammen mit einer Sammlung surrealer Kunst des Ehepaars Pietzsch und 100 Werken von Gerhard Richter in einen neuen Bau – das Museum des 20. Jahrhunderts - umziehen.
Während das Samurai Museum Berlin und die Neue Nationalgalerie eher an den geografischen Rändern der neuen kulturellen Mitte liegen, schlägt das Herz des Kulturareals rund um die Museumsinsel und das neue Humboldt Forum, das ins wieder aufgebaute Berliner Stadtschloss eingezogen ist. Lediglich die Fassade sieht übrigens authentisch historisch, sprich barock, aus. Innen erwartet Besucher*innen ein ganz moderner Bau, der nun peu à peu mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Diskussionen gefüllt und so zum Ort eines internationale Kulturaustauschs geworden ist. Das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst sind schon eingezogen – und vor allem die Ausstellungsstücke im Ethnologischen Museum lösten schon vor der offiziellen Eröffnung eine Debatte über Kolonialismus, Machtverhältnisse und Beutekunst aus.
Das Museum geht damit konstruktiv um, dennoch bleiben viele Fragen offen – und die betreffen natürlich nicht nur Berlin. So laden die Ausstellungen Menschen aus aller Welt auch dazu ein, einmal selbst darüber nachzudenken, warum europäische Museen sich immer noch damit schwer tun, gestohlene Kunst aus der Kolonialzeit zügig zurückzugeben. Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie hielt zur Eröffnung eine mutige Rede zu dem Thema. Sie lobte den Anspruch der Sammlungen, die universelle Geschichte der Menschheit aus vielen Perspektiven zu erzählen, vermisste aber die Dimension der Macht in den Ausstellungen. Sie fragte: „Wer hat eigentlich entschieden, afrikanische Kunst als „ethnologisch“ zu bezeichnen? Und wer hat das Recht, die Kunst anderer auszustellen?“
Spannend ist im Humboldt Forum auch die interaktive Ausstellung Berlin Global, die beleuchtet, wie die Stadt an der Spree mit der Welt verbunden ist – und welchen Einfluss diese wiederum auf Berlin hat. Und so können Besucher:innen in der interaktiven Ausstellung durch die Tür des berühmten Berliner Clubs Tresor schreiten, am Rad der Zeit drehen, sich über eine 360 Grad Leinwand mit Street Art die Entwicklung der Stadt angucken oder im Inneren einer Discokugel zur Musik der Jahrzehnte tanzen. Die Themen sind teilweise abstrakt – Grenze, Revolution, Verflechtung und Partizipation – ihre Umsetzung aber ist lebensnah und inspirierend. Wer sich danach stärken und einen Blick von oben auf die neue kulturelle Mitte werfen möchte, der fährt mit dem Fahrstuhl hoch zur Dachterrasse mit Bistro.
Auf der Straße vor der neuen James-Simon-Galerie flitzen Menschen auf E-Rollern vorbei. Sie teilen sich die Straße vorrangig mit Rikschas und Radlerinnen. Gerade wurde in der James-Simon-Galerie eine Schau über Heinrich Schliemann eröffnet – anlässlich seines 200. Geburtstags. Und im Laufe des Jahres wird zwischen Humboldt Forum und Spree auf der Berliner Schlossfreiheit das Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtet, das den Mut und die Zivilcourage der DDR-Bürgerinnen 1989/90 würdigen soll. Und eventuell wird es auch bald möglich sein, vor dem Stadtschloss in der Spree baden zu gehen. Die Stadt plant die Errichtung von Treppenstufen am Ufer vor dem Humboldt Forum – ein sogenanntes Flussbad. Derzeit ist unklar, ob das finanziert werden kann. Sollte das Projekt verwirklicht werden, könnte man direkt in der Mitte Berlins am Fluss sitzen und vielleicht auch mal kurz zur Abkühlung reinspringen – das Wasser der Spree ist seit Jahren sauber genug.
Titelbild: das Samurai Museum Berlin ist gerade nach Mitte umgezogen © Gregor Lengler
Berlin ist auf jedem Meter spannend: da ein zum Freizeitgelände umfunktionierter Ex-Flughafen, dort eine gläserne Parlamentskuppel, da die Gedenkstätten Berliner Mauer und Holocaust-Denkmal. Jede Menge Kultur und lebendige Kieze. Und zur Stärkung? Natürlich Currywurst. Oder doch ins Sternerestaurant. Alles geht in der Hauptstadt. Unsere Tipps für deinen Urlaub in Berlin.
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