Wenn es ruhiger wird am Bodensee, ist für Einheimische wie Gäste Genusszeit. Dann beginnen die Mußestunden am Wasser. Man wandert zur Lesezeit durch die Weinberge und sitzt an sonnigen Tagen bei regionalem Fisch beisammen. Stippvisite bei Fischkoch Hubert Neidhart und den Jungwinzern von Hagnau

Ein kulinarischer Spiegel der Region

Morgens um sechs am Bodensee. Nebelschwaden ziehen übers Wasser. Der Turm vom Radolfzeller Münster liegt im Dunst. Und seit ein paar Minuten mischt die Sonne noch ihre herbstlichen Orange- und Goldtöne in diese mystische Stimmung. Gemeinsam mit Hubert Neidhart fahren wir im Boot raus auf den Bodensee, um frischen Fisch zu holen. Normalerweise kauft der Fischkoch vom Grünen Baum in Moos seine Zutaten natürlich nicht draußen auf dem Wasser, sondern ganz normal an Land, wo ihm die Fischer den frischen Fang oft auch direkt ins Restaurant liefern. Aber heute Morgen wollen wir mal schauen, was auf dem Wasser so los ist. Und treffen auch tatsächlich ein paar deutsche und Schweizer Fischer. Mit einer prachtvollen Schleie an Bord tuckern wir schließlich wieder zurück in den kleinen Hafen von Moos. „Bodenseefisch ist zu 100 Prozent aus Wildfang“, erzählt uns Hubert Neidhart, während er in seiner Küche das Gemüse kleinschneidet, dass er frisch vom Bauern geholt hat. Die Schleie möchte der Koch, der sich seit vielen Jahren in der Slow-Food-Bewegung engagiert, für uns mit regionalem Gemüse, kleinen Kartoffeln und Wein auf dem Blech im Backofen garen.
Noch mehr Infor zum Fischgenuss am Bodensee findet Ihr hier: Bodensee-Fischwochen – eine kulinarische Liebeserklärung

„Wir leben hier auf der Halbinsel Höri in einer Art Schlaraffenland,“ sagt der Fischexperte, der den Grünen Baum in fünfter Generation führt. Durch das besondere Klima am See gedeihen auf der Höri am Untersee Gemüse und Obst in einer besonderen Vielfalt und sind auch durchweg von erstklassiger Qualität. Neben Artischocken und Auberginen wächst dort zum Beispiel auch die Höri-Bülle. Das ist eine feine Speisezwiebel, die ursprünglich aus Kalabrien stammt, von den Mönchen der Reichenau aber schon vor etwa 1000 Jahren entdeckt und auf der Halbinsel Höri kultiviert wurde. Die rote Zwiebel mit dem zarten, milden Geschmack trägt das EU-Siegel der geschützten Herkunft und gehört damit zu den kulinarischen Botschaftern Baden-Württembergs. Neidhart verwendet die Höri-Bülle mit Begeisterung– und kocht für die Monate, in denen es sie nicht frisch gibt, auch Chutneys vor. Obwohl das eigentlich schon fast gegen seine eigene Philosophie geht.

„Hier bei uns am Bodensee ist das nämlich nicht wie in einer Großstadt“, meint der Chef des Grünen Baums. „Wir denken uns nicht theoretisch aus, was wir am nächsten Tag auf die Speisekarte setzen und gehen dann einkaufen. Meine Vorstellung vom Kochen funktioniert genau anders herum: Ich schaue, was die Fischer vom See bringen, welchen Käse ich bei meinen Lieblingsproduzenten kaufen kann und welches Gemüse es ganz frisch gibt – und das verarbeite ich dann. Meine Küche soll einfach, frisch, regional und authentisch sein. Sterne interessieren mich nicht, das hier ist Natur pur.“ Die Speisekarte des Grünen Baums als kulinarisches Spiegelbild der Region – dafür steht der gemütliche Gasthof seit vielen Jahrzehnten. Nur einen Ausreißer erlaubt sich Hubert Neidhart: Er macht eine Fischsuppe mit Rouille – nach original französischem Rezept, wie er es aus der Bretagne mitgebracht hat, wo er gelernt hat. Allerdings – und dann passt das ja auch wieder gut ins Konzept – ganz regional mit Süßwasserfisch. „Am Anfang haben mich die Fischer hier für verrückt erklärt, aber es funktioniert. Unsere Fischsuppe ist eine Spezialität, für die wir am ganzen See bekannt sind.“

Und die Schleie auf dem Blech? Die ist mittlerweile auch fertig. Sie wird – wie sich das am Bodensee gehört – am besten zu einem Gläschen regionalem Weißwein gegessen. Und der könnte zum Beispiel aus Hagnau kommen. Mehr Infos findet ihr hier.

„Unser Leben dreht sich um den Wein“

Szenenwechsel. Im sonnigen Weinberg über dem Winzerort Hagnau und überm Bodensee stoßen am frühen Abend fünf junge Leute in den 20ern mit einem Glas Müller-Thurgau an. Etwa zehn Jungwinzer gibt es mittlerweile in der ältesten Weinbaugenossenschaft Deutschlands. Aber das ist nur eine von vielen Besonderheiten beim Winzerverein Hagnau. Sie haben hier auch einen wunderbaren alten Weinkeller mit historischen Riesen-Holzfässern, die immer zu den 25-Jahre-Jubiläen gebaut werden. Und, noch viel wichtiger: Alle 52 Winzerfamilien von Hagnau lassen ihre Trauben gemeinschaftlich im Winzerverein Hagnau keltern – und produzieren dennoch durchweg Spitzenqualität. „Das funktioniert, weil wir einen tollen Kellermeister haben und weil wir uns hier als eine große Familie begreifen, die immer zusammensteht“, sagt Stephanie Megerle, Badische Weinprinzessin von 2018/19, Jungwinzerin und Marketingexpertin bei der WG, wie die jungen Leute hier ihren Winzerverein gerne nennen.

In Hagnau halten sich Rot- und Weißweine etwa die Waage. Neben Müller-Thurgau sind vor allem die Burgundersorten typisch für die Region: Spätburgunder, aber auch Weiß- und Grauburgunder werden kultiviert. Der Seewein gedeiht unter anderem deshalb so gut, weil der Bodensee Spätfröste im Frühjahr verhindert, weil er das Sonnenlicht spiegelt und im Herbst noch lange von der gespeicherten Wärme des Wassers abgibt. „In Hagnau werden zudem alle Weine noch von Hand gelesen, sagt Christian Megerle, Stephanies Bruder. Er führt gemeinsam mit dem Vater den Familienbetrieb. „Wir sind alles ziemliche Experten, obwohl wir noch so jung sind“, ergänzt Stephanie lachend. „Unser Leben dreht sich halt von Kindesbeinen an dauernd um den Wein.“

Wie die meisten der anderen Nachwuchswinzer waren die beiden Geschwister auch schon zu Lehrjahren im Ausland, sind anschließend aber wieder nach Hause zurückgekehrt. „Wir haben doch eines der schönsten Fleckchen Erde hier“, meint Christian. Und weiter: „Ich finde, unser Arbeitsplatz im Weinberg hier oben ist eigentlich fast schon vergnügungssteuerpflichtig.“ Die Hagnauer Jungwinzer lachen. Öfter treffen sie sich an schönen Abenden hier oben nach Feierabend. Und sie bieten regelmäßig im Winzerverein ihre eigenen Weinführungen an. „Bei uns ist nicht alles so durchgeplant wie bei den Älteren“, gibt Christian zu, „aber wir haben alle immer viel Spaß.“

Die Sonne steht mittlerweile tief am Horizont, es ist kühl geworden. Die Jungwinzer packen zusammen. Es ist einer der letzten stillen Abende für eine ganze Weile. Bald wird’s hektisch. Die Lesezeit steht bevor. Stephanie, Christian und die anderen freuen sich schon drauf.
Mehr Infos über Führungen, Weinwanderungen, Weinverkauf und Feste gibt es hier.

Titelbild: Eine prächtige Schleie ist ins Netz gegangen © Dietmar Denger

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