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Hochseeklima und archaische Rituale auf Borkum, Thalasso und ein Hauch von High-Society auf Norderney, Natur pur auf dem „ Töwerland“ Juist – unterschiedlich präsentieren sich die drei Inseln im Westen vor Ostfrieslands Küste. Was sie eint, ist die herrliche Dünenlandschaft, scheinbar endlose Sandstrände, frische Seeluft und die exponierte Lage mitten im Wattenmeer.

Leseprobe aus dem DuMont Bildatlas Ostfriesland

Dieser Artikel stammt aus dem DuMont Bildatlas Ostfriesland aus dem DuMont Reiseverlag. Dort findet ihr auf 122 Seiten zahlreiche Aktiv-Tipps und vom Autor getestete Empfehlungen für jeden Geschmack: Schlittenfahren im Schlick, Regenpfeifer & Co. beobachten, die „Lange Anna“ auf Helgoland besuchen oder Ostfrieslands Volkssportarten entdecken. Dazu gibt es Hintergrundreportagen und Specials, zum Beispiel zum Kampf der Kutterkapitäne, zur Wunderwelt Wattenmeer oder zur ostfriesischen Teezeremonie.

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Borkum

An 364 Tagen im Jahr ist Borkum eine ganz normale Nordseeinsel, sind die Borkumer ganz normale Insulaner. Normal, das sollte man nicht missverstehen, schließlich bietet das Eiland ein fantastisches Klima, eine herrliche Dünenlandschaft, tolle Strände und herzliche Gastgeber. Einen Tag im Jahr allerdings drehen sie durch, die Borkumer. In der Nacht zum 6. Dezember wird hier der sagenumwobene Klaasohm zelebriert.

Dabei ziehen sechs junge Männer zusammen mit dem „Wiefke“, einem als Frau verkleideten jungen Burschen, über die Insel. Wer die Ehre hat, die Klaase zu geben, wird bei geheimnisvollen Kämpfen am frühen Abend entschieden, hinter Schweinskopfmasken bleiben sie für den Rest des Abends unerkannt. „Bewaffnet“ sind sie mit einem großen geschwungenen Kuhhorn, das vorwiegend dazu benötigt wird, jungen Damen den Allerwertesten zu versohlen. Und zwar dermaßen heftig, dass nicht selten Tränen fließen. Mütter und deren Kinder hingegen werden mit Moppe versorgt, einem klebrigen Lebkuchengebäck, und sogar gestreichelt.

So ganz ist nicht geklärt, worauf dieser Brauch zurückgeht. Mit dem christlichen Nikolausfest hat es etwas zu tun, gleichzeitig mischt sich wohl archaisches Geisteraustreiben in das Spektakel, das anderen Quellen zufolge in der Walfängerzeit entstanden sein soll: Kehrten die Männer von der langen Fangreise zurück, mussten sie zunächst ihre Position und Macht in den Familien wiederherstellen.

Borkums Strandpavillon krönt die Promenade und überragt den Strand mit den inseltypischen Zelten und Körben. © picture alliance / DUMONT Bildarchiv | Martin Kirchner

Begleitet werden die Klaase auf ihrem Zug durch die Gemeinde von zahlreichen Schaulustigen, vor allem aber von einem infernalischen Lärm aus Hörnern, Trommeln und den mit Dosendeckeln bestückten „Düwelsgeigen“. Einige Stunden geht das Treiben, sie ziehen von Kneipe zu Kneipe, tanzen auf Tischen und Bänken, ehe der Spuk in der Westerstraße mit derwischartigen Tänzen und großem Gejohle der Menge zu seinem Ende kommt. Dann plätschern die Wellen wieder an den Strand, als wäre nichts gewesen, pfeift der Wind sein gewohntes Lied. 364 Tage lang ist Borkum nun wieder eine ganz normale Insel in der Nordsee – bis zum nächsten Klaasohm.

Janusgesichtiges Norderney

Norderney ist das älteste Seebad an der Nordseeküste, von der geologischen Entstehungsgeschichte her jedoch der Youngster unter den Ostfriesischen Inseln. Das Eiland bewältigt heute höchst erfolgreich den Spagat zwischen Tradition und gnadenlosem Tourismustrubel. Am altehrwürdigen Conversationshaus lauschen sittsam gekleidete Gäste älteren Semesters dem Kurkonzert. Dort wo einst Clara Schumann für gekrönte Häupter Klavierkonzerte gab, erklingen auch heute noch moderate, klassische Töne. Einen Steinwurf entfernt wummern des Nachts House- und Techno-Bässe. Sittsam gekleidet ist kaum jemand, wenn beispielsweise das „White Sands Festival“ zelebriert wird. Ein Event, dass Beachvolleyball, Windsurfen und Party kombiniert. Norderney ist fraglos auch die Sportlichste unter den Ostfriesischen Inseln.

Die Insel ist die mondäne Vornehme – einst urlaubten hier Staatsmänner und Dichterfürsten –, aber auch so etwas wie der „Ballermann“ im Wattenmeer. Während auf anderen Inseln morgens um 5 Uhr die Vogelkundler aus den Federn kriechen, wanken sie auf Norderney um diese Uhrzeit aus der legendären Diskothek „Backstage“. Auf Norderney sitzt man in edlem Ambiente und Kerzenlicht beim Diner, hier steht man aber ebenso an der Bude beim Döner. Kegelklubs promenieren am Strand einträchtig mit Promis, die seit einigen Jahren wieder verstärkt die Insel besuchen. Urlauben und urlauben lassen, so könnte auch das Motto Norderneys heißen.

Mit Brad Pitt nach Juist

Jan-Lüppen Brunzema von den Inselfliegern aus Harle musste sich irgendwann verabschieden von seinen Stammgästen, die da Brad Pitt, Julia Roberts oder auch Jürgen Vogel und Katja Riemann hießen. Der Pilot aus Ostfriesland hatte die Stars nicht leibhaftig an Bord seiner Cesna. Er transportierte mehr als 30 Jahre lang Filmrollen mit Blockbustern auf die Ostfriesischen Inseln. Im Zeitalter der Digitalisierung aber werden die Filme nicht mehr von Rollen, sondern von digitalen Speichermedien abgespielt. Gleichwohl – die Idee war genial und sie bescherte Brunzema über Jahre einen fantastischen Job.

Die Kinobetreiber auf den Inseln hatten es satt, ständig dieselben, antiquierten Streifen anbieten zu müssen, wacklige Bilder und knarziger Ton inklusive. Aktuelle Top-Filme waren für die kleinen Inselkinos allein jedoch nicht zu bezahlen. Also schlossen sie sich zusammen, tauschten die Filmrollen untereinander aus, und Brunzema knatterte mit seiner Propellermaschine von Insel zu Insel. Wind und Wetter brachten den Flugplan bisweilen etwas durcheinander; dann drückte der Pilot dem Empfänger auf den Inseln die Filmrollen auf dem Rollfeld in die Hand und der raste damit ins Kino. Äußerst selten kam es vor, dass die Kinobesucher ein paar Minuten warten mussten. Aber immer noch besser als zum zwanzigsten Mal Heinz Rühmann als „Quax der Bruchpilot“…

Leibhaftige Passagiere befördern die „Inselflieger“ natürlich noch immer. Im Sommer sind das überwiegend gut situierte Urlauber oder solche, die die Fähre verpasst haben, im Winterhalbjahr eher Handwerker und Geschäftsleute. Oder Insulaner, die rechtzeitig zu Weihnachten bei ihren Lieben unterm Tannenbaum sitzen möchten. Außerdem alles, was eilig ist: Medikamente, die aktuelle Tagespresse und Frischfisch, manchmal gar in Not geratene Seehundbabys, die in der Aufzuchtstation in Norddeich wieder aufgepäppelt werden müssen. Nur Filmrollen, die gehören nicht mehr zur Fracht der Inselflieger.

Traditionsreich und klimaneutral

Sturmfluten zerstörten zuletzt vermehrt Teile der herrlichen Naturlandschaft auf Juist und warfen nicht nur bange Fragen, sondern auch enorme Kosten auf. Die Verantwortlichen machten sich also Gedanken über das Morgen hinaus. Sie wollten nicht einfach nur Dünenabbrüche reparieren und Deiche erhöhen. Sie beriefen einen Nachhaltigkeitsbeauftragten ins Amt, erklärten sich bereits 2010 offiziell zur „Klimainsel“; 2015 wurde Juist mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Als erstes Urlaubsziel will die Insel bis 2030 klimaneutral werden.

Die Tradition hilft dabei: Auf der Insel fährt man Fahrrad statt Auto, Transporte übernehmen Pferdekutschen. In Zukunft sollen verstärkt Wind- und Solaranlagen sowie Geothermie (Erdwärme) genutzt werden. Allerdings: Nicht alle Ureinwohner spielen mit, manche halten den Nachhaltigkeitsbeauftragten für einen Ökospinner. Eines allerdings könnte Thomas Vodde und seine Mitstreiter in die Karten spielen. Nachhaltigkeit heißt für sie nämlich auch soziale Verantwortung, Traditionen zu wahren und vor allem den Insulanern Wohnraum zu erhalten.

Denn Juist hat langsam ein ähnliches Problem wie Sylt. Mieten und Immobilienpreise sind horrend. Die Zahl der Zweitwohnsitze nimmt zu, zulasten des sozialen Lebens: Sportvereine kriegen ihre Mannschaften nicht mehr voll, der Freiwilligen Feuerwehr fehlt der Nachwuchs. Deshalb plant Juist beispielsweise eine Wohnungsbaugenossenschaft, deren Grundstücke den Insulanern vorbehalten sein sollen. Denn wenn sich nichts ändert, so glauben nicht wenige, könne in nicht allzu ferner Zukunft aus dem „Töwerland“ (Zauberland) eine Geisterinsel werden.

INFOS & EMPFEHLUNGEN

Borkum

Borkum (5200 Einwohner) ist mit knapp 31 km² die größte der Ostfriesischen Inseln und die am westlichsten gelegene. Bis 1863 bestand Borkum aus den Teilinseln Westland und Ostland; das „Tüskendör“ („Zwischendurch“) markiert noch die einstige Nahtstelle. Erstmals erwähnt wurde die Insel 1398. Die Inselbewohner lebten mehr schlecht von Strandgut, bis der Walfang im 17. Jh. zeitweise Wohlstand brachte. Nach dessen Ende setzte Ende des 18. Jh. eine große Inselflucht ein. Erst mit dem Tourismus (ab 1834) änderte sich die Situation langsam.

Auf Borkum, seit 1850 anerkanntes Nordseeheilbad, herrscht ein pollenarmes und besonders jodhaltiges Hochseeklima, obwohl Autoverkehr – wenn auch eingeschränkt – weitgehend zugelassen ist. Die Insel kann mit seiner Dünenlandschaft, rund 25 km Sandstrand und der herrlich frischen Luft wuchern. An Borkums Strandpromenade wechseln sich eher hässliche Betonburgen mit gediegenen Bauten aus der Gründerzeit ab.

SEHENSWERT

Die Insel besitzt drei Leuchttürme. 1576 wurde der 45 m hohe Alte Leuchtturm erbaut, der bis 1879 Seefahrern den Weg wies; ursprünglich ein Kirchturm und abgebrannt, wurde er Ende des 19. Jh. wieder aufgebaut (Wilhelm-Bakker-​Straße 4; zzt. Bauarbeiten). Als Ersatz errichteten die Borkumer 1879 den Großen Leuchtturm, auch Neuer Leuchtturm genannt, der bis heute Dienst tut (Goethestraße 1, Tel. 04922 77 99; Besichtigung April–Okt. tgl. 10.00–11.30 und 15.00–17.00, Mo., Mi., Fr. und Sa. auch 19.00–21.00, sonst Di., Fr. und So. 15.00 bis 16.30 Uhr). 1891 entstand am Südstrand der bis 2003 betriebene Kleine Leuchtturm (27 m).

INFORMATION

Tourist-Information, Am Georg-Schütte-Platz 5, 26757 Borkum, Tel. 04922 93 30, www.borkum.de

Juist

Töwerland nennen die Juister auf plattdeutsch ihre Insel, was so viel wie Zauberland bedeuten soll. „Töwer“ bedeutete im Altplattdeutschen Hexe; alten Quellen zufolge wurde die Insel so bezeichnet, weil drei Inselbewohnerinnen Ende des 16. Jh. der Hexerei beschuldigt und verbrannt wurden.

Das Eiland zwischen Borkum und Norderney ist das schmalste der Ostfriesischen Inseln und ein wahres Naturparadies. Je nach Gezeiten misst Juist teilweise nur 500 m in der Nord-Süd-Ausdehnung, ist dafür mit knapp 17 km die längste dieser Inseln. Gern wird Juist (1800 Einwohner) auch die schönste Sandbank der Welt genannt. Seit 1840 ist es staatlich anerkanntes Seebad.

SEHENSWERT

Das 1898 errichtete Historische Kurhaus, auch „Weißes Schloss am Meer“ genannt und beeindruckendes Beispiel der Seebäder-Architektur an der Nordseeküste, beherbergt heute ein Vier-Sterne-Hotel (www.kurhaus-juist.de). 2008 wurde mit dem 17 m hohen Seezeichen auf der neuen Seebrücke ein neues Inselwahrzeichen geschaffen. Der Wasserturm, von den Insulanern wegen seiner besonderen Form auch „Doornkaatbuddel“ genannt, wurde 1927 errichtet, als wegen des zunehmenden Fremdenverkehrs die herkömmliche Wasserversorgung nicht mehr ausreichte.

Das Alte Warmbad (1899) beherbergt heute das Standesamt und einen Lesesaal. Der Leuchtturm Memmertfeuer hat keine Bedeutung mehr für die Schifffahrt. Der Hammersee, größtes Süßwassergewässer der Ostfriesischen Inseln, entstand Mitte des 17. Jh., als die verheerende Petriflut von 1651 die Insel zeitweise zweigeteilt hatte. Am Westende Juists liegt das Billriff, auf dessen Sandbänken bei Ebbe gelegentlich Seehunde zu beobachten sind.

INFORMATION

Kurverwaltung, Strandstr. 5, 26571 Juist, Tel. 04935 80 98 00, www.juist.de

Norderney

Norderney existiert in heutiger Form erst seit Mitte des 16. Jh. und ist damit die jüngste der Ostfriesischen Inseln. Bereits 1797 durfte sie sich Königlich- Preußisches Seebad nennen, von 1819 bis 1866 Königlich Hannoversche Seebadeanstalt – bis Preußen das Königreich Hannover vereinnahmte. Auf dem zweitgrößten der ostfriesischen Eilande (26 km²) urlaubten zuerst überwiegend die oberen Zehntausend; Dichter und Komponisten ließen sich hier inspirieren. Heute verzeichnet die Insel (6000 Einwohner) über 3 Mio. Übernachtungen pro Jahr. Schon von der Fähre aus fällt die urbane Silhouette der Stadt Norderney ins Auge; dort geht es in der Hauptsaison lebhaft zu – Ruhe findet man in der weitläufigen Dünenlandschaft und an den Stränden.

SEHENSWERT

Rund um den Kurplatz versprüht Norderney Charme vergangener Zeiten. Erst recht, wenn dort zum Kurkonzert aufgespielt wird. Das 1840 errichtete Conversationshaus (Kurhaus) zählt zu den bedeutendsten Profanbauten Ostfrieslands (heute Spielbank). Das mondäne Kurhotel wurde bereits 1837 erbaut und diente dem hannoverschen Königshaus als Sommerresidenz. Auch das Kurtheater (1894) weckt mit seinem „plüschigen“ Ambiente Erinnerungen an „anno dazumal“ (Kino).

Die Windmühle Selden Rüst („Selten Ruhe“, 1862) ist die einzige auf den gesamten Ostfriesischen Inseln (Restaurant, Marienstraße 24, Tel. 04932 20 06, www.norderney-muehle.de). Vom 1872 bis 1874 errichteten, 54 m hohen Leuchtturm genießt man einen herrlichen Rundblick (tgl. 14.00–16.00 Uhr).

Im Watt Welten Wattenmeer-Besucherzentrum Norderney erfahren Besucher nicht nur, welche besonderen Tiere und Pflanzen im Wattenmeer leben und wachsen, sondern auch, welche Probleme es beispielsweise mit dem Müll in der Nordsee und den Offshore-Anlage auf See gibt. (Am Hafen 2, Tel. 04932 20 01, www.nationalparkhaus-norderney.de; März–Sept. tgl. 9.00–18.00, sonst tgl. 9.00–17.00 Uhr).

INFORMATION

Tourist-Information im Conversationshaus, Am Kurplatz 1, 26548 Norderney, Tel. 04932 89 19 00, www.norderney.de

Titelbild: Borkums bunte Strandkörbe im Abendlicht © picture alliance / DUMONT Bildarchiv | Martin Kirchner

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