Wind und Wellen formen die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, und die Natur ist noch lange nicht am Ende ihres Werks. Typisches Tier der Region ist der Kranich; ein Zugvogel, der hier zu Zehntausenden Zwischenstation macht – an der für die Region typischen Boddenküste, über deren charakteristisch-seichtes Gewässer manchmal noch traditionelle Segler rauschen.
Eine unglaubliche Zahl: 1711 Kilometer misst die Küste Mecklenburg-Vorpommerns – was ungefähr der Entfernung von Rostock nach Rom entspricht. Allein 1357 Kilometer entfallen auf die Boddenküste – eine ursprünglich durch das Eindringen des Meeres in die junge Grundmoränenlandschaft entstandene seichte, unregelmäßig geformte Szenerie, die sich in ungezählten Windungen hinter der Außenküste dahinschlängelt. Die Vorpommersche Boddenlandschaft steht heute unter Schutz – ihren Anfang nimmt sie an der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst. Eigentlich handelt es sich dabei um drei Inselchen, Fischland, Darß und Zingst, entstanden mit dem Abzug der letzten nacheiszeitlichen Gletscher. Mutter Natur sorgte dafür, dass nach und nach alle Verbindungen zur offenen See versandeten, die Sturmflut von 1872 setzte den Schlusspunkt. Das schwerste hiesige Hochwasser seit Menschengedenken warf dreieinhalb Meter hohe Wellenberge gegen die Küste und schüttete den Prerower Strom zu, der den Darß von Zingst trennte. Von da an hingen die Inseln aneinander fest.
„Fischerkaten am Saaler Bodden“, „Ländliche Hofstelle mit Kornfeld“ nannte der Oldenburger Maler Paul Müller-Kaempff seine Werke und unterstrich damit, was die Künstler Ende der 1880er-Jahre in Ahrenshoop suchten und fanden. 1909 bekam die Kunst hier auch eine feste Heimat, als Paul Müller-Kaempff und Theobald Schorn den „Kunstkaten“ errichteten. Die Kombination aus inspirierender Idylle weit weg vom modernen Leben mit billiger Kost und Logis zog bald weitere Künstler an.
Eine Hauptattraktion auf dem Darß ist der Gang zum Leuchtturm „Darßer Ort“. An schönen Sommertagen wandern ganze Völkerscharen hierher. Man kann es ihnen nicht verdenken, denn hier bietet sich ein Küstenpanorama, das seinesgleichen sucht. Am Darßer Ort lässt sich die schöpferische Kraft des Meeres erleben: Südlich trägt das Wasser permanent Küste ab, zerwühlt den Strand, reißt den Sand tonnenweise mit sich, unterspült die Wurzeln der gebeugten Küstenkiefern und bringt sie zu Fall. Nordöstlich vom Darßer Ort gibt das Meer seine Beute wieder her, spült Sand in langen zarten Fahnen an und häufelt ihn zu flachen Bänken. Der Wind formt sie zu Dünen, auf denen erst Zwergstrauchheiden sowie lange Jahre später Kiefern, Eichen und Buchen gedeihen – das Land wächst, der Kreis schließt sich. Auch der 5000 Hektar große Darßwald ist auf diese Weise entstanden. Exkursionen führen regelmäßig in das schummerige Licht unter den Kiefern und Buchen. Noch trägt er den Stempel menschlicher Nutzung. Alte Arbeitswege drücken ihm ein schachbrettartiges Muster auf, frühere Aufforstungen tragen noch den Charakter von Monokulturen. Eines schönen Tages aber soll dieser Wald wieder Urwald sein.
Jahr für Jahr lockt der Zug der Kraniche Tausende an die Ostseeküste: Im März und Oktober rastet die unvorstellbare Zahl von über 70 000 Vögeln am Bodden zwischen Zingst und Rügen, insbesondere bei Pramort auf Ostzingst. Mit Ferngläsern und Kameras ausgerüstet, warten Vogel- und Naturfreunde warm eingemummt auf die Dämmerung. Dann ziehen Tausende Kraniche in langen Ketten über den Himmel, untermalt von ihren Trompetenrufen. Das geht unter die Haut. Im Herbst fressen sich die Vögel auf den Boddenwiesen den Bauch voll; Reserven für ihren Flug nach Süden. Im Frühling versammeln sich die Kraniche hier zu ihren Balztänzen. Sie gebärden sich wie Verrückte, steigern sich in einen Furor aus Knicksen, Sprüngen und Flügelschlagen, werfen den Kopf weit in den Nacken und trompeten aus voller Kehle. Es dauert, bis der Tanz eines Paares in Harmonie übergeht und sich die zwei wie Spiegelbilder bewegen. Und obwohl Kranichpaare lebenslang zusammenbleiben, werben sie jeden Frühling hingebungsvoll umeinander.
Die Halbinselkette aus Fischland, Darß und Zingst riegelt heute die Städte Ribnitz- Damgarten und Barth von der offenen See ab. Ribnitz-Damgartens „Goldader“ hat aber dennoch engste Verbindungen zum Meer: Bernstein lautet das Zauberwort, das die Gäste magisch anzieht. Im einstigen Klarissenkloster von Ribnitz breitet das Deutsche Bernsteinmuseum seine honigfarbenen Schätze aus. Ebenfalls in der Altstadt haben Bernsteingalerien und die große Schaumanufaktur ihren Sitz. Auch Barth sucht und findet sein touristisches Heil im Zusammenhang mit dem Wasser: Hypothesen, die Vineta, die sagenhafte Hafenstadt, im Barther Bodden und nicht bei Zinnowitz auf Usedom verorten, gaben dem Hype um das „Atlantis der Ostsee“ vor Ort reichlich Nahrung. Folgerichtig nennt sich Barth „Vineta-Stadt“ und unterhält auch ein kleines Vineta-Museum.
Der Darß war einst die wichtigste Fundstelle für Baltischen Bernstein. Sowohl der Schmuckstein als auch die Segelschiff-Werften haben die Stadt (15 000 Einw.) an der Mündung der Recknitz bekannt gemacht. 1950 schlossen sich das mecklenburgische Ribnitz und das vorpommersche Damgarten zusammen. Besonders lohnenswert:
Ein Besuch des Klarissenklosters (Urspr. 14. Jh.) lohnt sich wegen der wertvollen Ausstattung der Klosterkirche. Hier befindet sich auch das eindrucksvolle Deutsche Bernsteinmuseum (www.deutschesbernsteinmuseum.de). Eine gläserne Produktion mit Bernsteinverkauf bietet die Schaumanufaktur Ostsee-Schmuck (www.ostseeschmuck.de)
Das Freilichtmuseum Klockenhagen vermittelt ein Bild vom Leben an der Ostseeküste in den vergangenen 300 Jahren. Großen Wert legen die Museumsmacher auf ein attraktives Programm für Familien (Mitmachangebote und Schauvorführungen alter Handwerke, www.freilichtmuseum-klockenhagen.de).
Ab 1880 wandelte sich Wustrow (1200 Einw.) vom Fischerdörfchen zum Seebad. Seeleute besuchten die 1846 gegründete Großherzoglich-Mecklenburgische Navigationsschule, die in den Jahren 1969 bis 1992 eine Ingenieurhochschule für Seefahrt war. Sehenswert:
1993 bekam Wustrow seine Seebrücke. In Barnstorf stehen auf einer Landzunge noch vier malerische mittelalterliche rohrgedeckte Bauernhäuser; eines wurde zur Kunstscheune, um wechselnden Ausstellungen einen besonderen Rahmen zu geben (www.kunstscheune-barnstorf.de).
Höhepunkt im Wustrower Festkalender ist die Zeesenboot-Regatta am ersten Juli-Sa.
Um 1900 wurde Ahrenshoop (640 Einw.) als Künstlerkolonie bekannt. Seither steht hier alles hoch im Kurs, was mit Kunst zu tun hat. Die Highlights:
Malerisch zeigt sich das Ortsbild mit reetgedeckten Häusern, blumenreichen Gärten, kleinen Gassen. Die Hauptverkehrsstraße führt mitten durch den Ort, beiderseits zweigen schmale Sträßchen ab, die zu Entdeckungstouren auffordern. Während der Hochsaison ist das Gedränge ziemlich groß. Teure Boutiquen und noch viel teurere Hotels und Restaurants lassen keinen Zweifel: Geld spielt keine Rolle.
Das Kunstmuseum zeigt Werke der Gründergeneration der Künstlerkolonie sowie hochkarätige Wechselausstellungen. Architektonisch orientieren sich die Ausstellungshäuser an den Fischerkaten der Umgebung (www.kunstmuseum-ahrenshoop.de). Der kobaltblau gestrichene Kunstkaten geht auf den Gründer der Künstlerkolonie zurück, Paul Müller-Kaempf, der hier 1909 eine Stätte der Begegnung einrichtete, in der sich Künstler und Käufer zwanglos treffen konnten (www.kunstkaten.de). Wechselausstellungen veranstaltet die Galerie im Dornenhaus (www.dornenhaus.de). Wer heute Kunstschaffende kennenlernen will, geht am besten zum Tag der offenen Tür im Haus Lukas. Dort zeigen die Stipendiaten ihre Werke, veranstalten Lesungen, Ausstellungen und Performances und plaudern mit Gästen. Das Haus vergibt alle zwei Jahre Stipendien (www.kuenstlerhaus-lukas.de).
Andenken, Schreibwaren, Bücher, Schmuck, schöne Postkarten ergattert man in der Bunten Stube (www.bunte-stube.de).
Von Ahrenshoop führt ein Wanderweg an der Kliffkante entlang über den Bakelberg (17,9 m) nach Wustrow (5 km). Am Hohen Ufer nagt unübersehbar die Erosion.
Alte Kapitänshäuser, ein herausragender Sandstrand und die Nähe zum Darßwald zeichnen Prerow (1500 Einw.) aus. Besser als am Darß lässt sich nirgendwo sonst das Entstehen der Landschaft beobachten. Besonders sehenswert:
Der rund 80 m breite Strand und die im Jahr 1993 erbaute Seebrücke zieren das alte Fischerdorf. 1728 wurde die Seemannskirche errichtet, in der Votivschiffe an das alte Gewerbe erinnern. Über Botanik, Geologie und Ornithologie informiert das Darß-Museum, das auch eine interessante Haustürensammlung zeigt.
Den Darßer Urwald erkundet man am besten mit dem Rad. Fahrradvermietungen in Prerow und Zingst (www.fischland-darss-zingst.de).
Ab 1881 wandelte sich das Fischerdorf zum Ostseebad. Heute ist Zingst (3000 Einw.) das touristische Zentrum der Gegend. Meer und Bodden kommen sich hier recht nah. Besonders lohnenswert:
Das Museum Zingst informiert über die Ortsgeschichte, stellt die Werke örtlicher Künstler aus und zeigt elf imposante Schiffsmodelle. Nicht verpassen: die Aktionstage (www.museum-zingst.de). Im Experimentarium lernen Kinder interaktiv allerhand über Wissenschaft und Technik (www.experimentarium-zingst.de).
Die Inseln Werder und Bock liegen östlich von Zingst, Großer Kirr und Barther Oie südlich. Weil hier Zugvögel rasten, allen voran die Kraniche im Bereich Zingst/Bock, zählen die Inseln zu Vogelschutzgebieten von europäischer Bedeutung. Über die Sundischen Wiesen erreicht man den (heute zum Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft gehörenden) Kranichbeobachtungsstand Pramort. Südl. des Boddens liegt das Städtchen Barth (8600 Einw.). Es beansprucht wie Zinnowitz, die wahre Vineta-Stadt zu sein. Im alten Rathaus hat das Vineta-Museum seinen Sitz; es informiert u. a. über den Mythos Vineta (www.vineta-museum.de). Schmuckstück des Niederdeutschen Bibelzentrums St. Jürgen ist eine sehr wertvolle Ausgabe der Barther Bibel (www.bibelzentrum-barth.de).
Titelbild: Der Weststrand zeigt anschaulich, wie das Meer bei rauem Wetter mächtige Stücke aus dem Darßer Dünengrün beißt © picture alliance / DUMONT Bildarchiv | Olaf Meinhardt
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