Geschrieben von Magda von wanderfolk.de

Magda Lehnert ist freie Journalistin und hat mit ihrem Reise- und Outdoorblog Wanderfolk eine ihrer größten Leidenschaften zum Beruf gemacht. Seit 2015 berichtet sie auf dem Blog und in Magazinen über ihre Roadtrips, Wanderungen und Microadventures.

Regen. Das erste, was wir am frühen Morgen wahrnahmen, war sein stetes Trommeln auf dem Dach unseres Campers. Warum musste ausgerechnet dieses Juniwochenende, an dem wir zum Wandern und Baden in den Harz gefahren waren, so kalt und nass werden?

Ein bisschen widerwillig trauten wir uns in die Kälte, fest an unseren dampfenden Kaffee geklammert. Um uns herum war der Wanderparkplatz leer. Niemand war so verrückt, bei solchem Wetter freiwillig rauszugehen. Da unsere einzige Alternative jedoch nur ein Tag im klammen Bus war, entschieden wir uns trotzdem loszustapfen - immerhin seien wir ja nicht aus Zucker, so zumindest unser klägliches Tagesmotto.

Da Heldentum eben doch nicht nur ein nostalgisches Gebilde aus Märchenbüchern ist, fegte in Antwort auf unsere tapfere Entscheidung tatsächlich ein so kräftiger Wind über die Landschaft, wie ihn zu dieser Jahreszeit nur der Harz kennt. Mit einem Mal war der Himmel befreit von seinen grauen Wolken, als wir erblickten, wofür wir gekommen waren: Den Oderteich. Dunkelblau und silbrig schimmerte seine Wasseroberfläche und spiegelte die dicht gewachsenen Bäume. Was für ein atemberaubender Kontrast zu den hellen, sandigen Ufern! Ganz allein und nur umgeben von frischer, regenschwängerter Luft, standen wir inmitten einer Kulisse, die man so vielleicht in nordamerikanischen Nationalparks, aber ganz sicher nicht in Deutschland erwarten würde. Und wir wussten: Hier, irgendwo zwischen Bundesstraße und Wald hatten wir, als wir es am wenigsten erwarteten, ein kleines Paradies gefunden.

Zu verdanken haben wir dieses Paradies der hiesigen Silberproduktion am Anfang des 18. Jahrhunderts. Damals erwuchs die Notwendigkeit, die Oder am Einlaufwehr des Rehberger Grabens aufzustauen, um die Gruben besser mit Aufschlagwasser versorgen zu können. So entstand zwischen 1715 und 1721 im heutigen Nationalpark die älteste Talsperre Deutschlands. Gemeinsam mit anderen Bauwerken des Oberharzer Wasserregals wurde sie 2010 von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet. Bis heute treibt das Wasser des Oderteichs noch mehrere Wasserkraftwerke in Sankt Andreasberg, der Grube Samson und im Sperrluttertal an.

Um den See herum führt ein Rundwanderweg; zunächst entlang der Sandstrände an seiner Westseite, auf kleinen Brücken über Bäche, bis zu dem gespenstigen Totholzwald im Norden und schließlich über Holzbohlen entlang des Ostufers. Auch wenn dieser Weg gerade einmal knapp 4 Kilometer lang ist, findet man mit ein bisschen kindlicher Fantasie so viel Magie entlang des Wegs, dass man - vor allem mit einer Kamera in der Hand - kaum voran kommt. Wem die kleine Rundwanderung trotzdem zu kurz ist, verlängert sie entweder mit einem Abstecher zum ausgeschilderten Clausthaler Flutgraben, ebenfalls Bestandteil des UNESCO Weltkulturerbes, oder wandert am besten gleich weiter zum benachbarten Torfhausmoor. Wer jedoch mehr Glück mit dem Wetter hat als wir und einen Sommer erlebt, der sich auch Sommer nennen darf, findet an den Ost- und Westufern eine einzigartige Wasserlandschaft zum Schwimmen.

Titelbild: Lieblingsort im Harz – der Oderteich © Magda Lehnert

Oderteich

Die historische Talsperre im Harz liegt liegt nahe dem Braunlager Stadtteil St. Andreasberg und war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die größte Talsperre Deutschlands. Sie gehört seit Juli 2010 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

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