Im Westfalenstadion steppt immer dann der Bär, wenn Borussia Dortmund seinen Gegner vor der „gelben Wand“ genannten Stehplatztribüne an ebenjene spielt. Das Stadion gehört zu den lautesten in ganz Europa. Das wird man auch in den sechs EM-Spielen erleben, die in der Ruhrpottmetropole stattfinden. Die Stehplätze allerdings werden während der EM wie in allen anderen Stadien in Sitzplätze umgewandelt. Ob das hilft, die temperamentvollen Fans aus Frankreich, Italien und Albanien davon abzuhalten, immer dann aufzuspringen, wenn´s interessant wird, ist allerdings fraglich. 

1. Tag

10 Uhr. Jede Stadt hat ihren emotionalen Mittelpunkt. Da wären der Marienplatz in München, der Römer in Frankfurt oder der Dom samt Umgebung in Köln, um einige dieser magischen Plätze zu benennen. In Dortmund mitten im Ruhrgebiet füllt der Alter Markt diese Funktion aus. Er ist einer der ältesten Plätze der Stadt und der Ort, an dem ganz Dortmund zusammenläuft, wenn es etwas zu feiern gibt. (Oder zu betrauern, wie die verlorene Meisterschaft des BvB im vergangenen Jahr). Für Gäste aus aller Welt ist der Alter Markt auch der Ort, wo man am schnellsten versteht, in welcher Stadt man gelandet ist und wie der Mensch im Pott tickt. Der ganze Marktplatz ist voller Tische und Stühle der umliegenden Cafés und Restaurants, es wird auf jeden Fall laut und gesellig – und während der EM auch spät. 

13 Uhr. Der Ruhrpott, so hieß es lange Jahre, sei nicht sonderlich schön und als Urlaubsziel eine glatte Fehlbesetzung. Das hat sich jedoch längst geändert, Stichwort Strukturwandel. Mit dem Ende des Kohleabbaus wurden viele Industriebrachen und Gebäude umgewidmet, restauriert und zum Teil in attraktive Freizeiteinrichtungen UND Naherholungsgebiete verwandelt. Ein gutes Beispiel ist der Phönixsee. Dabei handelt es sich um einen künstlich angelegten See, der seit 2011 mit seinen Wassersport- und Freizeitmöglichkeiten zum beliebten Pilgerort für DortmunderInnen geworden ist. Und natürlich für Gäste aus ganz Europa, die zwischen den Spielen einfach mal an einem Badestrand entspannen wollen. 

15 Uhr. Zugegeben – der nächste Stopp in Dortmund ist vermutlich eher für deutsche Fans interessant. Wer aus Frankreich, der Türkei oder Albanien weiß schon, welch große Bedeutung die Kapitänsbinde von Bernard Dietz, das Trikot von Oliver Bierhoff und der Spielball des EM-Finales von 1972 für die deutschen Fans haben? Und, womöglich bessere Frage: Wer WILL es überhaupt wissen? Trotzdem sollte ein Besuch im Deutschen Fußballmuseum, gleich zentral in einem spektakulären Glaspalast am Hauptbahnhof gelegen, mit auf den Terminplaner aller europäischen Fans. Hier wird der Fußball in all seinen Varianten und auch popkulturellen Ausprägungen beleuchtet. Und das erstreckt sich weiß Gott nicht bloß auf deutsche Themen. „50 Jahre Wembley“ sind dort ebenso Thema wie „Pink Floyd und der Fußball“. 

18 Uhr. So viel zu Theorie und Geschichte. Im Westfalenpark geht’s dann wieder um den Fußball von heute. Hier wird einer der beiden Public Viewing-Stationen eingerichtet, alle deutschen Spiele und ausgesuchte Spiele anderer Nationen werden hier auf einer 144 Quadratmeter großen Leinwand übertragen. Platz ist laut den Veranstaltern für 25.000 Menschen, dementsprechend viele Getränkestände und Imbisse sind in einer Stadt wie Dortmund natürlich eine Selbstverständlichkeit. Ab 13 Uhr ist das Gelände geöffnet, der Eintritt ist frei. Ein kleines Schmankerl für MusikfreundInnen steht ebenfalls auf dem Plan. An zwei Nächten spielen bekannte KünstlerInnen ein Freikonzert auf der Bühne des Westfalenparks. Wer das sein wird? Überraschung! 

20 Uhr. Alle Spiele sind abgepfiffen, aber das Energielevel noch hoch? Im Dortmunder Norden hat sich am Hafen eine feine, kleine Partyszene etabliert, die auch während der EM gut besucht sein wird. Zu erwarten ist ein Umschlagplatz der guten Laune, auch wenn das ein wenig gekalauert klingt. Aber es ist ja wahr: Der unkonventionellste Laden im Dortmunder Hafen heißt tatsächlich Umschlagplatz. Während der Woche finden dort auch viele Konzerte statt, am Wochenende auch ein Flohmarkt. Bei gutem Wetter reicht es aber auch, im Biergarten zu entspannen. Oder man geht ein paar Meter weiter und checkt im Eventschiff Herr Walter ein, seit 2011 die Heimat für gut gelaunte Menschen, die nicht nur in der Sonne chillen, sondern unter einem Zeltdach tanzen und am Wasser den Sandstrand unter den Füßen spüren wollen. 

2. Tag

10 Uhr. Fragt man zehn DortmunderInnen, wo es in der Stadt am schönsten, individuellsten, wildesten und diversesten zugeht, werden sieben davon wie aus der Pistole geschossen behaupten: "Im Kreuzviertel!" Der Reiz des Stadtteils liegt in seiner Vielfalt. Schöne Gründerzeitaltbauten, kleine, individuelle Läden, kernige Kneipen neben veganen Cafés. Im Kreuzviertel ist wenig zu spüren vom Glamour und den glänzenden Oberflächen der Trendviertel in anderen Großstädten, auch das ist spürbar: Gentrifizierung ist hier kein großes Thema. Dafür ist der knurrige Charme der RuhrpötterInnen auch einfach nicht gemacht. Um den Tag gut zu beginnen, raten wir zu einem Frühstück in „Schönes Leben“, dem „Kieztörtchen“ oder „Herr Liebig“, allesamt im Kreuzviertel. Und danach einfach den Schlendergang einlegen und das Viertel entdecken – das wird schön! 

13 Uhr. Wofür steht Dortmund außer Fußball? Klar, für Bier! Dortmund war traditionell eine Stadt der Brauereien, acht Großbrauereien hatten einst in der Ruhrpottmetropole ein einträchtiges Auskommen nebeneinander. Die bekanntesten Bierproduzenten waren Hansa, Kronen und Bergmann, zudem gab´s Löwen, Ritter, Stifts und Thier. Klangvolle Namen. Und wer ist übriggeblieben und hält die Hopfen & Malz-Produktion in Dortmund am Leben? Nur die Dortmunder-Aktien-Brauerei (DAB). Genau dort finden inzwischen täglich Führungen im Brauerei-Museum statt, wo man über alle Brauereien Dortmunds informiert wird, aber vor allem auch die Braustätte der DAB besucht. Dass sowas nicht ohne Verköstigung des hauseigenen Produkts vonstatten geht, versteht sich von selbst.   

15 Uhr. Der Besuch eines Kunstmuseums ist nichts für alle, das ist einzusehen. Doch dieses Museum ist anders, spektakulärer, bildkräftiger. Im Phoenix des Lumières, einem ehemaligen Hochofenwerk mit entsprechend gigantischen Ausmaßen, hängen keine konventionellen Bilder an der Wand. Hier werden dreidimensionale Farbwelten in Räume projiziert, deren Anfang und Ende man nur erahnt. Dalis Werk wird dort in der Ausstellung „Das endlose Rätsel“ vorgestellt, die Architektur von Gaudi ausgeleuchtet, kosmische Nächte veranstaltet, in denen man eintaucht in atemberaubende Paralleluniversen. Unbedingt mitnehmen, um die Zeit ist ohnehin noch kein Fußball! 

18 Uhr. Die Spiele sind schließlich in Dortmund frühestens um 18 Uhr. Und da ist selbst der Kunstfreund längst wieder zurück und hat sich eingereiht am Dortmunder Friedensplatz, der zweiten großen Public Viewing Area in Dortmund. Auf dem zentral gelegenen Platz in der Innenstadt werden alle 51 Spiele der EM auf einem riesigen LED-Würfel übertragen. Platz ist für über 6 000 Fans. Wer Lust hat, kann mehr tun als nur schauen. Auf einem Soccer Court kann gemeinsam gekickt werden, es wird Bolzboxen und Kickertische geben sowie einige Live-Konzerte. 

20 Uhr. Je später der Abend, umso fröhlicher die Gäste. Schade nur, dass in Dortmund so viele Bars und Kneipen recht früh schließen. Eine löbliche Ausnahme ist die blitzbunte Großmarktschänke, ein Dance Club mit Vintage-Möbeln, der mehrmals in der Woche zu Konzerten und zum Ringelpiez mit Anfassen einlädt. Ein sehr schräg dekorierter, undogmatischer Club, der mehr auf gute Laune denn auf Coolness setzt. Wer Abende unter der Discokugel und Kunststoff-Sonnenblumen-Deko schätzt, sollte nicht lange überlegen. Das hier ist der Club, nach dem man in Dortmund gesucht hat. Und wenn man sich um fünf Uhr in der Früh fragt, ob der Laden eigentlich nie zumacht, wird man erst eine Stunde später eines Besseren belehrt. 

Copyright Titelbild: Der Phönixsee in Dortmund © stock.adobe.com - Scanrail

Geschrieben von Harald Braun

Der Reise- und Kulturjournalist Harald Braun, gebürtiger Rheinländer, lebt in Schleswig-Holstein auf dem Land, flüchtet im Winter regelmäßig nach Australien, mag den FC St. Pauli, Südtirol und immer häufiger auch ausgewählte Ecken in Deutschland, die er neuerdings entdeckt – wie den Hafenkran „Greif“ vor der Elbphilharmonie, in dem man vorzüglich übernachten kann.

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