18 Jahre ist es her, da staunte die ganze Welt über Deutschland. So fröhlich, offen und gastfreundlich wie während der WM 2006 im eigenen Land hatte man den deutschen Michel noch nie erlebt. Am 14. Juni startet die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland mit dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Schottland. Wie hoch sind die Chancen auf eine Fortsetzung des Sommermärchens?
Der Franz kann es nicht mehr richten. Der kürzlich verstorbene deutsche Fußballkaiser Franz Beckenbauer war vor 18 Jahren noch das Gesicht der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Unermüdlich rotierte er mit dem Hubschrauber von Stadion zu Stadion, von Stadt zu Stadt und von Triumph zu Triumph, beobachtete den unerwarteten deutschen Einzug ins Halbfinale der WM launig und sah, wie sich das im Ausland als einigermaßen humor- und freudlos geltende Deutschland in etwas verwandelt hatte, das richtig Spaß haben konnte. In ein Land nämlich, das die ganze Welt dazu einlud, gemeinsam eine Party zu feiern, die noch größer, besser, schöner werden sollte als jedes deutsche sportliche Event vorher. Franz Beckenbauer räumte später ein, dass auch ein wenig Glück dabei war: „Mit dem Eröffnungsspiel in München zog auch der Sommer in Deutschland ein!“ Vier Wochen lang tobten Fußballfans aus aller Welt in den Public Viewing-Arenen von München bis Berlin durch den warmen Frühsommer, feierten die aus aller Herren Länder angereisten Fans friedlich und fröhlich gemeinsam ein Fußballfest, das selbst UN-Generalsekretär Kofi Annan als „eine der besten Weltmeisterschaften“ adelte, dies es je gegeben habe.
Ob die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland an diesen großen Erfolg anknüpfen kann, steht zur Stunde zwar noch in den Sternen. Doch es gibt einige Anzeichen dafür, dass in diesem Sommer ein neues Märchen geschrieben werden könnte. In zehn Städten Deutschlands jedenfalls freut man sich bereits spürbar auf die 24 Mannschaften, die sich für die bislang größte Europameisterschaft der Geschichte qualifiziert haben. Auch an den Seitenspiegeln der deutschen Autofahrer flattern schon wieder kleine Flaggen im Wind.
Eröffnet wird die EM wie einst auch die WM vor 18 Jahren am 14. Juni in München. Das Spiel gegen Schottland gilt jetzt schon als eines der Höhepunkte des gesamten Turniers. Nicht unbedingt aus sportlichen Gründen: Es sind die legendären schottischen Fans, die der bayerischen Metropole ein buchstäblich rauschhaftes Wochenende bescheren werden. Die sogenannte Tartan Army gilt als sangesfreudig und trinkfest, von der Insel ist zu hören, dass man zu Tausenden zur EM anreisen wird. Randale ist dabei nicht zu befürchten: „Die SchottInnen kommen in friedlicher Absicht. Sie wollen keine Städte erobern, sondern Kneipen leer trinken!“ schrieb neulich ein Fußballmagazin. Im Oktoberfest-erfahrenen München wird man sich mit derartigen Wünschen lässig arrangieren. Schon am 12. Juni feiert man auf der Theresienwiese – wo auch sonst! – mit rund 90 000 Gästen das Fan Fest Euro 2024. Spoiler-Alert: Es werden viele Männer mit Röcken erwartet!
Doch auch an den anderen Spielorten laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. In Dortmund freut man sich auf traditionell reisefreudige italienische Fans und zahlreiche BesucherInnen im Westfalenpark, bei freiem Eintritt in die Public Viewing-Area. Die ebenfalls reisefreudigen KroatInnen werden in hoher Zahl in Berlin, Hamburg und Leipzig erwartet. Köln darf sich auf Heerscharen von EngländerInnen und die benachbarten BelgierInnen freuen, während die stets gut gelaunten DänenInnen in Stuttgart ihre Duftmarke hinterlassen werden. In Gelsenkirchen werden alle Spiele in der historischen Zeche Nordstern auf einer großen Leinwand übertragen, die deutschen Begegnungen zudem auch im Amphitheater, in dem ansonsten Rockkonzerte stattfinden. Public Viewing at its best. In Düsseldorf treffen unsere allseits geliebten NachbarInnen aus Österreich und Frankreich aufeinander. Wer für dieses Spitzenspiel keine Karten mehr ergattern kann, hat die Wahl, das große Public Viewing entweder am Rheinufer mitzuerleben oder sich in den Fan Zonen am Burgplatz oder am Schauspielhaus zu vergnügen.
Ob die EM tatsächlich ein märchenhaftes Vergnügen wird, hängt natürlich auch vom sportlichen Erfolg der deutschen Mannschaft ab. Würde das Team wie bei den letzten Weltmeisterschaften in Russland und Katar sowie bei der nachgeholten Europameisterschaft 2021 früh in der Vorrunde scheitern, wäre das sicherlich ein Stimmungskiller im ganzen Land. Doch dieses Albtraum-Szenario scheint vom Tisch zu sein. Mit dem jungen Trainer Julian Nagelsmann und dem neu installierten Sportdirektor Rudi Völler weht nun gerade noch rechtzeitig vor dem Turnier ein frischer Wind durch die muffig gewordenen Kabinen des DFB-Teams. Die Vorrunde gegen Teams wie Schottland, die Schweiz und Ungarn müsste zu schaffen sein. Die aktuelle Entwicklung der deutschen Mannschaft jedenfalls lässt hoffen. Nachdem der Ex-Bayern München-Trainer Nagelsmann die ersten Spiele gegen Österreich und die Türkei noch räudig in den Sand gesetzt hatte, entschied er sich, auf der Schussfahrt zu wenden, ums mit Herbert Grönemeyer zu sagen. Er kegelte ein paar der etablierten Kräfte aus dem Kader und holte junge, frische und talentierte Spieler dazu. Und natürlich den Real Madrid-Granden Toni Kroos zurück, der bei der EM dem jungen DFB-Team als Leitfigur dienen soll. Dabei hatte Kroos bereits vor längerer Zeit seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärt.
Die Aussicht auf die Wiederholung des Sommermärchens von 2006 im eigenen Land ließ selbst den abgebrühten Profi aus Madrid umdenken. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie er und seine Mannschaftskameraden 2006 von Hundertausenden auf den Straßen von Berlin als „Weltmeister der Herzen“ gefeiert wurden, obwohl man in einem begeisternden Turnier nur Dritter geworden war. Auf ihm liegen die Hoffnungen der deutschen Fans, ebenso wie auf den beiden vielversprechenden Jungstars Florian Wirtz aus Leverkusen und Jamal Musiala von Bayern München. Ob das Wetter während der Europameisterschaft im Juni 2024 genauso gut wird wie während des Sommermärchens 2006, ist natürlich zur Zeit noch nicht absehbar. Der 100-jährige Kalender jedenfalls sagt „Sonne, Regen, Sonne und Regen“ voraus. Lichtgestalt Franz Beckenbauer, dem zu Lebzeiten nachgesagt wurde, ihm würde grundsätzlich alles gelingen, kann es nicht mehr richten. Aber vielleicht richten es Rudi Völler, Julian Nagelsmann und Toni Kroos gemeinsam. Als Märchenerzähler haben schließlich alle drei noch Luft nach oben.
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