Wer einmal im Frühling durch Bayerns Streuobstwiesen spaziert, glaubt, in ein lebendiges Märchen geraten zu sein: weiße und rosafarbene Blütendächer, soweit das Auge reicht, darunter alte Apfel- und Birnensorten, Quitten, Mirabellen und Pflaumen. Ein Duft, der zwischen Honig und Kindheitserinnerung schwankt, begleitet vom Summen der Bienen und dem Ruf des Steinkauzes. Doch diese bajuwarischen Wiesen sind nicht nur schön anzusehen – sie sind Schatzkammern der Artenvielfalt und zugleich kulinarische Versuchung. Hier bekommt man die Natur nicht nur zu sehen, sondern auch zu schmecken. Und weil es heißt: „An apple a day keeps the doctor away“, darf man sich guten Gewissens gleich zwei gönnen. (Natürlich auch von den Edelbränden…) 

Kirschenmeer in der Fränkischen Schweiz

In der Fränkischen Schweiz verteilen sich mehr als 200.000 Kirschbäume über die sanften Hügel der Landschaft. Eine Szenerie, die man eigentlich in Japan vermuten würde – Sakura auf Fränkisch eben. Im Frühjahr legt sich ein Meer aus Blüten über Täler und Dörfer, im Sommer glänzen rote Früchte in der Sonne. Wer dann zum Walberla hinaufsteigt, diesem markanten Zeugenberg hoch über Kirchehrenbach, sieht nicht nur Burgruinen, Kirchen und Schlösser, sondern versteht, warum diese Landschaft selbst ohne Kirschen ein Traumziel wäre. Dass Genuss hier Tradition hat, beweist Roland Schmitt, Obstbauer aus Leidenschaft. Auf seinen Streuobstwiesen wachsen Sorten, die anderswo längst vergessen sind. Seine Bäume dürfen alt werden, ihre Höhlen dienen Vögeln als Wohnung, Steinhaufen bleiben liegen, weil auch sie Teil des Ökosystems sind. Aus den Früchten entstehen Säfte, Marmeladen, Brände und Essige, die klingen wie eine Familienchronik – und genauso schmecken.

Alte Sorten im Altmühltal

Noch ein Stück weiter südlich, im Altmühltal, hat Luise Naderer ihre „Luisengärten“ geschaffen. Rund 500 Apfelbäume – zum Teil edle alte Sorten – stehen hier, viele davon uralt, gepflegt in Handarbeit. Ihre Direktsäfte sind von einer Intensität, die man im Supermarkt vergeblich sucht: sortenrein, ohne Zusätze, voll von Säure, Aroma und Geschichte. Jeder Schluck ist ein Stück Landschaft. 

Hochprozentiges aus der Rhön

Und dann die Rhön. In Wartmannsroth sind es die Edelbrenner, die Genusskultur großschreiben. Der „Brennerweg“ führt Besucher von Hof zu Hof, vorbei an Obstwiesen, Wäldchen und Aussichtspunkten. Man wandert, kostet, lacht – und versteht spätestens in der Destillathek von Franziska Bischof, was gutes Handwerk leisten kann – und dass es keineswegs eine Schnapsidee wäre, einige ihrer Brände zu kosten. Die Edelbrand-Sommelière, Brennerin in vierter Generation, verwandelt Früchte, Blüten und Kräuter in Kreationen, die Fantasie haben: Ingwergeist, Haselnusslikör, Gin, Whisky. Jede Flasche erzählt von Tradition, aber auch von Mut, Altes neu zu denken. So zeigen die Streuobstwiesen und Brennereien in Bayern, was diese Kulturlandschaft ausmacht: Schönheit im Wechsel der Jahreszeiten, alte Sorten voller Charakter, Familienbetriebe mit Leidenschaft – und Genuss, der weit über den Teller, das Glas oder die Flasche hinausgeht.

Titelbild: Frühlingserwachen: Ein Traktor fährt durch die blühenden Obstbäume. © erlebe.bayern - Jens Schwarz

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