Wo einst die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg residierten und Gotthold Ephraim Lessing Weltliteratur schrieb, hat Kultur bis heute oberste Priorität. Aber die zwischen Harz und Heide gelegene Kleinstadt punktet auch mit farbenfrohem Fachwerk und viel Natur.

Zugegeben: Ein bisschen ab vom Schuss liegt es schon, das 50.000-Einwohner-Städtchen an der Oker. Und das ist auch gut so! Denn so kann das zwölf Kilometer südlich von Braunschweig versteckte Wolfenbüttel sein ganzes Potenzial als Ruhe- und Kraftort entfalten. Kurze Wege zwischen den Sehenswürdigkeiten, schöne Fassaden und grüne Flecken prägen die einstige Residenzstadt. Schon der Bahnhof von 1838 ist eine kleine Augenweide. Und auch die Bahnhofstraße in Richtung Altstadt ist ziemlich charmant: man spaziert durch eine geschlossene Reihe prächtiger Häuser aus der Gründerzeit. Auf dem Weg zum nahen Schlossplatz streift ihr dann schon den Seeliger Park mit seinem alten Baumbestand.

Am auffälligsten sind die vielen – rund 1.000 – gepflegten Fachwerkhäuser, die in ihrer Unterschiedlichkeit und mit ihren verwunschenen Hinterhöfen einmalig sind: Bauwerke der Renaissance und des Barock stehen Wand an Wand mit Exemplaren des 19. Jahrhunderts und der Moderne. Mal kommen sie schlicht in schwarz-weiß daher, mal bunt und üppig verziert mit Schnitz- und Schmuckwerk. Ein Anblick, der nicht nur das Architekten-Herz hüpfen lässt.

Spaziergang durch Wolfenbüttel
Wolfenbüttel - farbenfrohe Fachwerkstatt zwischen Harz und Heide © Christian Bierwagen

Zu verdanken ist der heutige Altstadt-Charakter den Welfen. Über vier Jahrhunderte (bis 1754) war Wolfenbüttel Zentrum des Geistesleben und der schönen Künste. Einblick in das höfische Leben bietet das Schlossmuseum, untergebracht in der prächtigen Residenz, dem Wahrzeichen Wolfenbüttels. Mit jedem Schritt durch die original erhaltenen Repräsentationsgemächer schnuppert ihr historische Luft. Aber hier wird sich nicht auf dem Erbe aus Glanz und Gloria ausgeruht – neben der Dauerausstellung „Barockes erleben!“ zeigt das Museum auch Zeitgenössisches, wie gerade die Show „Points of View“ des britischen Star-Bildhauers Tony Cragg (noch bis 13. September 2020).

Nur einen Steinwurf von hier geht es um einen VIP des 18. Jahrhunderts: Gotthold Ephraim Lessing. Elf Jahre hat Deutschlands berühmter Dichter der Aufklärung die berühmte Bibliothek geleitet und eines seiner wichtigsten Werke zu Papier gebracht, das Drama "Nathan der Weise". Die Hauptfigur steht als Skulptur vor dem Lessinghaus, einst Wohnhaus des Dichters und heute ein Museum zu seinem Leben und Wirken und Teil der Herzog-August-Bibliothek. Letztere galt im 17. Jahrhundert wegen ihrer riesigen Sammlung als achtes Weltwunder. Das versteht jeder, der einen Blick hinter die mächtigen Mauern und auf die bibliophilen Kleinodien wirft. Schatz der Schätze: das Evangeliar Heinrich des Löwen von 1188, eines der wertvollsten Werke überhaupt.

Nathan und Nathan in Wolfenbüttel
Lessings Drama „Nathan der Weise“ wurde in Wolfenbüttel verfasst. Eine Statue erinnert an den großen Dichter © Dagmar Steffenhagen, Stadt Wolfenbüttel

Bei so viel Literatur bekommt man selbst Lust aufs Lesen. Tipp: im Museumshop des Lessinghauses einen Reclam-Klassiker besorgen und dann ab ins Grüne! Davon gibt es nämlich reichlich in Wolfenbüttel, etwa rund um den Stadtgraben. Im Schatten eines riesigen Gingkobaumes oder einer Helmlocktanne, zwischen Wasser und Wiesen, könnt ihr etwas Schulbildung auffrischen – oder einfach nur entspannen, begleitet vom Rauschen der Blätter und Entengeschnatter.

Lieber etwas Bewegung? Kein Problem, entlang der Oker gibt es Verleihstationen für Paddelboote oder SUP-Bretter. Ihr gleitet lässig über den Fluss, der sich romantisch zwischen hohen Bäumen windet – bis zur Quelle im nahen Harz, einem weiteren Paradies für Outdoor-Aktivitäten in unberührter Natur.

Titelbild: Grünes Wolfenbüttel © Achim Meurer