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Alphirte und Opernsänger, im Sommer in den Bergen, im Winter auf der Bühne – Florian Karg lebt ein glückliches Leben zwischen Bergeinsamkeit und Publikumstrubel, Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Ein Besuch beim singenden Alphirten und seiner Familie in den Allgäuer Bergen.

Sausteig heißt der Weg, der hinauf zur Alpe Plättele im Obertal bei Bad Hindelang führt, durch lichten Bergmischwald und quer über üppige Almwiesen. Acht Kilometer ist die familienfreundliche Wanderung durch das Hintersteiner Tal und weiter ins Obertal lang, eine gute Stunde ist man unterwegs, begleitet von einem rauschenden Bergbach. Man sieht Wasserfälle und felsige Gipfel, die manchmal schon im Herbst weiß gepudert sind. Schweine aber bekommt man auf dem Sausteig nicht zu Gesicht, nicht ein einziges. Dafür jede Menge Kühe: Kühe links, Kühe rechts. Kühe die auf und neben dem Wirtschaftsweg stehen oder liegen. Es ist eine gemütliche Tour, der Weg breit und überwiegend asphaltiert, auch mit dem Kinderwagen kommt man gut voran. Auf 1.350 Metern Höhe, kurz vor einer Spitzkehre, ist die Plättele Alp erreicht. 450 Jahre alt ist die geschindelte Holzhütte, die sich darauf duckt. Während des Sommers lebt hier die Familie Karg, drei Generationen unter einem Dach. Gemeinsam bewirtschaften sie die Hütte, stärken müde Wanderer mit frischer Buttermilch und Almkäse, mit selbst gebackenen Kuchen und sensationell guten Kässpatzen.

Wo Mensch und Tier in Einklang leben

Mit rund 120 Jungrindern zieht der Operntenor im Sommer über die umliegenden Almwiesen. Um Florian Karg auf der Alpe anzutreffen, braucht es schon ein bisschen Glück – meist ist er mit den Kühen weiter oben in den Bergen unterwegs. Die Arbeit hier oben ist hart, das Leben einfach. Die Familie schläft in einer schlichten Berghütte, die nur mit dem Nötigsten ausgestattet ist. Es gibt keinen Strom, kein warmes Wasser. Aufgestanden wird bei Tagesanbruch; ins Bett geht es erst lang nach Sonnenuntergang. Dazwischen werden die Milchkühe gemolken, wird gebuttert und Käse gemacht, legen Karg und seine Kinder viele Kilometer zurück, während sie die Jungrinder von einer Weide zur nächsten treiben – immer wachsam, damit kein Tier verloren geht oder sich verletzt. Bis in 2.000 Meter Höhe weidet das Vieh im Hochsommer. Je höher die Tiere kommen, desto artenreichere Natur finden sie vor: sattgrünes Gras, farbenfrohe Blumenvielfalt, kräuterreiche Wiesen.

Auf kurvigen Wegen zurück ins Allgäu

Hier oben sind Mensch und Tier eng miteinander verbunden. „Ich kenne jedes einzelne Tier persönlich. Jedes hat unverkennbare Merkmale und seinen ganz eigenen Charakter“, so Karg. Ein Leben ohne Alpe ist für den Freigeist unvorstellbar. Dabei wollte er eigentlich einen ganz anderen Lebensweg einschlagen: Er absolvierte eine Lehre zum Zimmermann. Doch das erfüllte ihn nicht. Dann wollte er sich zum Zitherspieler ausbilden. Doch der Studiengang wurde kurzerhand abgesagt. Aus der Not heraus studierte er schließlich klassischen Gesang an der Musikhochschule. Seine Begabung für den Operngesang trat schnell zutage. Trotzdem trieb es ihn bald in die Berge zurück. „Bei mir ist das Gefühl des Heimwehs extrem stark ausgeprägt. Ohne meine Berge, die Tiere und meine Familie kann ich einfach nicht leben“, erklärt der Allgäuer seinen kurvenreichen Lebensweg.

Landschaftspflege auf Allgäuer Art

Hirten genießen ein hohes Ansehen im Allgäu. Sie erhalten die Gebirgslandschaft. Denn wenn die Alpwiesen nicht abgeweidet werden, verstrohen sie. Das Gras erstickt die Blumen, und die Kräuter können sich nicht mehr entfalten. Auf die Tiere wiederum wirkt die gesunde Ernährung wie eine Naturapotheke. Sie werden widerstandsfähig und robust. Beim Viehscheid, auch bekannt als Almabtrieb, treiben die Hirten die festlich geschmückten Tiere wieder zurück ins Tal und feiern dabei zusammen mit den Landwirten und Dorfbewohnern das unfallfreie Weidejahr.

Opernsänger auf Zeit

Gleichzeitig ist der Viehscheid aber auch der Startschuss für Florian Kargs zweite Saison. Denn wenn der Alpsommer zu Ende geht, hat er wieder Zeit fürs Singen. Schon im Oktober beginnen die Proben für die Weihnachtsoper „Stille Nacht“, die in Bad Hindelang und Memmingen aufgeführt wird und die Entstehungsgeschichte des weltberühmten Weihnachtslieds erzählt.

Karg spielt die Hauptrolle. Mit seinem kraftvollen Tenor reißt er das Publikum mit und genießt anschließend den donnernden Applaus. Es macht ihm Spaß, das spürt man. Trotzdem bereut er seine Entscheidung für die Alpe nicht: „Manchmal denke ich nach dem Auftritt, ein Leben als Opernstar wäre auch schön gewesen. Doch sobald der letzte Vorhang fällt, freue ich mich schon darauf, dass ich bald wieder zurück auf meine Alpe und zu meinen Tieren kann.“

So kommt ihr mit Bahn und Bus nach Bad Hindelang: Anreise planen.

Titelbild: Florian Karg, Alphirt und Opernsänger © www.bayern.by - Gert Krautbauer

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