Das Paradies ist gar nicht so weit entfernt, wie man vielleicht denken mag. Es liegt zwischen Weinbergen und Streuobstwiesen im Kraichgau, und zwar in der Anlage des Klosters Maulbronn. „Paradies“ wird hier die Vorhalle der Klosterkirche genannt. Das ist natürlich nicht der Grund, warum das Kloster Maulbronn zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Die bald 900 Jahre alte Anlage gilt als weltweit einzigartig, da sie fast vollständig erhalten ist. Ein Besuch lohnt sich also – zumal in den heiligen Küchen dem Vernehmen nach die Maultaschen erfunden wurden.

Willkommen im Mittelalter

Sanft streicht der Wind durch das feine Weidengeäst, das sich vor dem steinernen Turm zu verneigen scheint. Rechts und links davon erstrecken sich dicke Mauern, einmal rund um die Klosteranlage. Nur wenige Meter entfernt erhebt sich eine mit Obstbäumen und Wein üppig bewachsene Anhöhe. Sie ist eine Erinnerung ans Leben der Zisterziensermönche, die hier einst Obst und Gemüse außerhalb des Klosters anbauten. 

Kein schlechtes Vorbild

Das vor bald 900 Jahren gegründete Kloster ist eine der am vollständigsten und besten erhaltenen mittelalterlichen Anlagen seiner Art nördlich der Alpen. Es ist weltweit ein Einzelfall und gilt für viele Klosteranlagen als Vorbild. Experten studieren den Gebäudekomplex, um zerstörte Klöster anderswo realistisch rekonstruieren zu können. Warum Maulbronn nie zerstört wurde? Möglicherweise, weil es nicht gewalttätig eingenommen werden musste. Das Kloster wurde damals von Herzog Ulrich von Württemberg belagert und nach sieben Tagen erobert. Die Mönche packten ihre Sachen und verließen es – kampflos, versteht sich von selbst.

Das verblichene Paradies

Ein wenig Patina hat das Kloster natürlich trotzdem bekommen. Nach der Belagerung stand es zunächst einige Jahre leer. Es wurde geplündert, von Aufständischen eingenommen und schließlich als Schule genutzt. Ob die in den Gemäuern eingeritzten Namen wohl von den Aufrührern oder von den Klosterschülern stammen?

Und auch das „Paradies“ ist in die Jahre gekommen. So wird die Vorhalle der Klosterkirche genannt, die traditionell mit Szenen aus der Geschichte des Sündenfalls (Adams und Evas Verdammung) bemalt wurde. Da der letzte „Anstrich“ jedoch bald 500 Jahre her ist, ist die sündhafte Bemalung nur noch zu erahnen. 

Ein fast mystischer Ort

Der dreischalige Brunnen ist das Wahrzeichen des Klosters. Wunderschön plätschert er, von hohen Fenstern umgeben, im Brunnenhaus vor sich hin. An sonnigen Tagen fächern die alten Fenster das Licht zu Diagonalen auf, die den Raum samt seinem feinen Wassernebel in eine zauberhafte Stimmung versetzen. Ganz besonders schön ist es im Frühling, wenn die riesige Magnolie im Kreuzgarten weiß-rosafarben blüht – durch die Fenster kann man die Pracht auch von innen sehen. So prächtig, wie der Brunnen heute aussieht, war er nicht immer. Zu Beginn – und so kannten ihn auch die Mönche – bestand er nämlich nur aus der unteren Schale, was zweckdienlicher war. Denn dort wuschen die Mönche ihre Hände und schnitten sich die Haare.

In den heiligen Gemäuern

Zugegeben, die hallenartigen Räume mit den Säulen und hohen Bogenfenstern sind wirklich beeindruckend. Aber so ganz ohne Mönch und Möbel kann man sich das Klosterleben von damals nur schwer vorstellen. Zum Glück gibt es Guides wie zum Beispiel Angelika Braun, die während ihrer Führung die alten Gemäuer mit Leben füllt. 

So staunt man nicht schlecht, wenn sie in der Klosterkirche von dem Steinmetz erzählt, der 20 Jahre lang an einem steinernen Kreuz arbeitete, nur um dann zu erfahren, dass es aus Holz hätte sein sollen. Man macht einen vorsichtigen, andächtigen Bogen um die Steinplatten im Kreuzgang, denn unter ihnen ruhen die sterblichen Überreste der Äbte. Und bei einem Blick in den Kreuzgarten wäre man nicht verwundert, wenn dort ein Mönch im tiefen Gebet versunken sitzen würde. Denn man ist dank Angelika Brauns Vortrag doch ein gutes Stück in die Vergangenheit gereist.

Zurück in der Gegenwart

Auf dem Klosterhof empfängt uns dann wieder gemütliche Betriebsamkeit. Familien schlendern über den großen Platz und verschwinden in kleinen Gässchen. Eine Besuchergruppe lauscht den Geschichten eines Klosterführers. Auch in den hutzeligen Fachwerkhäusern herrscht Betrieb. Sie beherbergen keine Museen, sondern zum Beispiel das Rathaus oder die Polizei von Maulbronn. Die Klosteranlage ist also bis heute fester Bestandteil des Maulbronner Alltags. Vielleicht ist die Atmosphäre gerade deswegen so schön.

Wenn Gott nicht so genau hinschaut

Zum Abschluss noch ein Abstecher in das Reich der Legenden. Im Kloster Maulbronn sollen nämlich die Maultaschen erfunden worden sein. Jakob, ein Laienmönch vor Ort, wollte während der Fastenzeit nicht auf Fleisch verzichten. Um den Verstoß zu verheimlichen, vermengte er das kleingehackte Fleisch mit Gemüse und Kräutern und rollte die Masse in Nudelteig ein. Da Gott, zu Jakobs Glück, nur auf, aber nicht in die Teigtaschen schaute, blieb die leckere Sünde unbestraft. Die Maulbronner Nudeltasche, kurz Maultasche, war erfunden. Im baden-württembergischen Volksmund heißt die Maultasche deshalb auch bis heute „Herrgottsb’scheißerle“.

Dass das Kloster in Zukunft eine Pilgerstätte für Maultaschen-Freunde wird, ist unwahrscheinlich. Für echte Fans der leckeren Speise hält es dennoch etwas Tolles bereit – man kann dort nämlich ein Maultaschen-Diplom machen. 

Titelbild: Die beiden oberen Schalen wurden erst im 19. Jahrhundert hinzugefügt © cmr – Joachim Negwer

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