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Quadrat, Rechteck, Diagonale und jede Menge Schmuck dazu: An der Deutschen Fachwerkstraße in Nordhessen liegen Städte, in denen man das Flair und die Baukunst vergangener Jahrhunderte bestens erleben kann. Denn dort stehen noch besonders viele eindrucksvolle Häuser, die aus Holz, Stein und Lehm gebaut wurden.

Noch in den 1960er- und 1970er-Jahren ließ man sie verfallen, wollte lieber neu und ganz modern bauen. Doch das ist lange her, heute lieben wir Fachwerk wieder – und staunen über die perfekt renovierten alten Häuser aus Holz, Stein  und Lehm, die unsere Altstädte zum Leuchten bringen. Was für starke Kontraste aus Holz und heller Fassade! Was für Muster, welche Liebe zum Detail …Vielerorts wird sogar heute wieder mit Fachwerk gebaut – weil’s wunderschön aussieht und weil Naturmaterialien wie Holz, Stein und Lehm für ein erstklassiges Raumklima sorgen. 

Sehenswerte Fachwerkstädte

Die solide gebauten Fachwerkhäuser in Nordhessen entstanden größtenteils im 16. bis 19. Jahrhundert – und man braucht kein Architektur-Kenner zu sein, um sich von ihnen begeistern zu lassen. Besonders schöne Exemplare, die von der leidenschaftlichen Handwerkskunst ihrer Erbauer zeugen, entdeckst du zum Beispiel in Fritzlar, Frankenberg, Schwalmstadt, Spangenberg, Melsungen, in Rotenburg an der Fulda oder Eschwege – sie liegen entlang der Deutschen Fachwerkstraße. Diese verläuft ganz grob gesagt von der Elbe im Norden bis zum Bodensee.

Bauernscheunen und Fachwerkschlösser

Hast du dich schon einmal gefragt, wie ein solches Haus eigentlich gebaut wurde? Denn wenn man sich mit einem Thema besser auskennt, entdeckt man ja viel mehr, schaut mit ganz anderen Augen hin. Also: Hier kommt erst einmal ein Mini-Grundkurs in Fachwerk-Bau-Technik. Die meisten Häuser, die heute noch in Deutschland stehen, haben einen gemauerten Sockel, auf dem die Holz-Skelett-Konstruktion errichtet wurde – so gab es weniger Probleme mit aufsteigender Nässe. An den schieren Dimensionen und am Ausmaß an Spielereien und Verzierungen erkennst du, ob die einstigen Auftraggeber des Fachwerkbaus Geld hatten – und in Nordhessen wirst du von der einfach-soliden Fachwerk-Bauernscheune bis zum Schlösschen mit Holz alles finden. Es macht Spaß, sich die Baukonstruktionen genauer anzusehen und zu überlegen, wer das jeweilige Gebäude wohl ursprünglich gebaut und genutzt hat.

Muster-Bauten

Übrigens: In ländlichen Regionen hat man viel länger mit Holz gebaut als in der Stadt – noch im 19. Jahrhundert entstanden daher auch in Nordhessen viele sehenswerte, einzigartige Gebäude. Innerstädtisch errichtete man zu dieser Zeit größtenteils schon Steinhäuser – die galten als moderner und waren brandschutztechnisch unkomplizierter. Experten können übrigens oft an den Mustern des Fachwerks erkennen, in welcher Region ein Gebäude steht – aber das ist natürlich wieder eine ganze Wissenschaft für sich.

Ständer, Streben, Sockel …

Auf den gemauerten Sockeln errichteten Handwerker nun ein Gitter aus senkrechten Holzständern und waagerecht und diagonal eingesetzten Streben. Die Zwischenräume wurden dann mit Ästchen stabilisiert und mit einem Lehm-Stroh-Gemisch gefüllt – manchmal auch mit Bruch- oder Backsteinen. Fertig? Noch nicht ganz, denn Stabilität erhielten die Häuser erst durch eine hölzerne Bodenschwelle. Das war ein auf dem Boden oder einer Mauer aufliegender Holzrahmen, in dem alle Pfosten befestigt wurden. Eine solche Schwelle erhielt jedes Stockwerk. So konnte man bis zu fünf Etagen übereinander bauen – nachhaltig, mit Naturmaterialien und fast ohne Nägel und Schrauben. Die Hölzer wurden so ausgesägt, dass Querhölzer festen Halt fanden – eine Art kompliziertes Steckwerk. Die Konstruktionen aus Pfosten und Streben, Stützen und Riegeln, Schwellen und Balken hielten über Jahrhunderte – und faszinieren die heimische Bevölkerung und Gäste bis heute.

Rathaus in Frankenberg

Am besten spazierst du durch die Dörfer und Städtchen Nordhessens und lässt dich treiben – meist liegt das nächste besondere Haus nur eine winklige Gasse oder eine Ecke entfernt. Und jedes spiegelt mit seiner Konstruktion, dem Zierwerk, den figürlichen Skulpturen, Bibel- und Sinnsprüchen ja nicht nur die eigene Baugeschichte, sonder auch die der Region. Und das Leben des Erbauers. Frankenberg zum Beispiel war im 16. Jahrhundert durch Kupfer- und Silberfunde zu einem gewissen Wohlstand gelangt: Das Fachwerk-Rathaus mit seinen zehn Spitztürmen und seinen verspielten Ornamenten erzählt von diesem Reichtum und wohl auch vom gewachsenen Selbstbewusstsein des dortigen Bürgertums. Außerdem würde es sich prächtig als Märchenkulisse machen …

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Beispielhafte Architektur

Den Stolz der Bürger repräsentieren zum Beispiel auch das Patrizierhaus „Löwe“ in Bad Sooden-Allendorf oder das zwischen 1475 und 1480 errichtete „Kaufhäuschen“ in Fritzlar, das die damalige Kaufmannsgilde errichten ließ. Melsungen, wo du einen Spaziergang entlang der Fulda machen kannst, hat ein Stadtbild wie vor Jahrhunderten. Und in Eschwege stehen noch über 1000 reich verzierte Fachwerkhäuser mit teilweise einzigartigen Schnitzereien. Lass dich treiben, achte auf besondere Details. Und stell dir einmal vor, wie es in diesen Altstädten vor ein paar Jahrhunderten zugegangen sein muss – als dort mit Holzbalken hantiert, als Lehm angerührt und Stroh für die Dächer herbeigeschafft wurde. Mach die Augen zu, höre, wie gehämmert, geklopft und sicherlich manchmal auch geflucht wurde. Das Können der Handwerksleute damals hat der Region ein einzigartiges Erbe beschert. 

Besser schlafen im Fachwerk

Und wenn du mal ausprobieren möchtest, wie es sich in so einem alten Haus aus Naturmaterialien schläft – es gibt viele Hotels und Ferienbauernhöfe, die sich über Gäste und ihre Fragen zum Fachwerk-Erbe freuen. Ein besonders schönes Beispiel? Der 300 Jahre alten Weidelshof von Regine und Jürgen Günst in Naumburg bei Kassel. Dort wurden nach Meinung von Experten sogar Fachwerkhölzer verarbeitet, von denen einige noch ein paar 100 Jahre älter sind. Man kannte sich damals also nicht nur intuitiv mit einem guten Raum- und Schlafklima aus. Man schätzte auch Recycling.

Titelbild: Das Frankenberger Rathaus wurde 1509 erbaut und thront seither auf dem Marktplatz © Paavo Blafield

In Zusammenarbeit mit Hessen Tourismus

Wandern durch stille Mittelgebirge, alte Buchenwälder oder Streuobstwiesen, Paddeln auf der Lahn, schönstes mittelalterliches Fachwerk gucken und die Atmosphäre historischer Kurorte schnuppern – Hessen macht romantische Seelen rundum glücklich. Bei Weinwanderungen, in hessischen Metzgereien und bei „Handkäs mit Musik“, einem eingelegten Käse, kommen aber auch Genießer voll auf ihre Kosten. Gründe für einen Urlaub in Hessen gibt es genug!

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